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Corona darf nicht alles sein

18. März 2020: Wie geht es weiter? Ein wichtiger Kunde teilt mit, dass eine Ausgabe (von dreien in unterschiedlichem Rhythmus)der Zeitung das nächste Mal nicht erscheinen wird; allzu viel Bestand hat die Nachricht aber nicht. Äußerungen im Freundes-, Verwandten- und Bekanntenkreis zum C-Thema lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Die einen schieben das „Schlimm, schlimm“ zwischen ihre üblichen Sätze. Die anderen schimpfen: Ich würde es nicht ernst genug nehmen, die verordneten Einschränkungen öffentlichen Lebens seien korrekt und man müsse noch mehr tun. Die dritte Gruppe, zu der ich mich am ehesten rechne, warnt vor übereilten, hastigen Schritten; findet, dass Angst und Panik schlechte Ratgeber sind und fürchtet, dass manche Einschränkungen eben nicht mehr rückgängig gemacht werden, wenn „alles vorbei“ ist.


Was ist eigentlich Angst?

Auch, wenn es im ersten Moment nicht so aussieht, gibt es Parallelen zum gegenwärtigen Geschehen: Als 1986 am Reaktor von Tschernobyl der Größte Anzunehmende Unfall (GAU) auftrat, waren Angst und Verunsicherung groß. Und jeder hat seine eigenen, kleineren Katastrophen: In München, wo ich damals studierte, sorgte schon 1984 ein Hagelschauer bislang nicht gekannten Ausmaßes für hohe Schäden. Vergessen werde ich auch nicht, wie ich 2002 im gerade vom Wasser der Weißeritz verwüsteten, Dresdner Hauptbahnhof stand. Auf Besuch in Sachsen, kehrte ich sehr eilig mit meiner Familie nach Baden-Württemberg zurück, ehe uns die angeschwollene Elbe den Weg abschneiden würde. Katastrophen machen Angst. Was ist das eigentlich genau? In unserem Fall wohl die Unmöglichkeit, die Folgen gegenwärtigen Geschehens vorauszusagen: Werde ich krank? Kann ich weiter arbeiten? Werden Handwerk, Handel und Industrie Schaden leiden – und wenn ja: Welchen? Wie geht es weiter mit Konzerten, Museen, Theatern, Kinos und allen damit verbundenen Akteuren? Weil alle diese Fragen nur mit einem großen Vielleicht – oder eigentlich überhaupt nicht – beantwortet werden können, haben viele Menschen Angst. Zugleich ist Angst ein lebensrettendes Gefühl, weil sie den uralten Fluchtreflex aufweckt. Sie ist ist aber nur so lange gesund, wie sie sich nicht umkehrt: Also zum uns beherrschenden, alles durchdringenden, nicht aufhörenden Erschrecken wird. Ich finde es wirklich gut, dass sich gerade der Satz „Bleiben Sie gesund!“ in unserem Sprachgebrauch einbürgert. Bestenfalls sind wir gerade dabei, eine neue Herzlichkeit zu lernen – und das kann kein Fehler sein. Und das – möglicherweise bald erzwungene – zu hause bleiben kann ja auch eine Chance sein: Lesen, gute Musik hören, Freunde anrufen, den Frühjahrsputz vorziehen.


Wortklauberei

Wer Kindern beim Großwerden zuschauen durfte, weiß, dass diese wundersamen Wesen zunächst beharrlich schweigen, dann, je nach Laune, lange Arien nonverbalen Plapperns aufführen, inzwischen längst jedes Wort der Eltern verstehen und schließlich, irgendwann, ins Stadium der Einwort-Sätze eintreten: „Paybackkarte?“ Stimmt, das ist was anderes, auch weniger poetisch als der Aufschrei des kleinen Filius am sonntäglichen Kaffeetisch, mit dem das Erscheinen eines gefiederten Zweibeiners am Küchenfenster bejubelt wurde: „Kassenbon?“ Äh: Einkaufstäglich werden mir an der Kasse meines Lebensmittelhökers solche Sätze um die Ohren gehauen, nachdem ich mich gerade von dem enervierenden, grottenschlechten „Rundfunk“ des Betreibers erholt habe; der, in einem wirklich merkwürdigen Pseudo-Hipster-Deutsch („das ist einfach supermega!“) die „Angebote der Woche“ in einen weich gewaschenen Tutniemandweh-Journalismus verpackt. Ein Graus, und man kann es nicht leise stellen. Die Kinder, immerhin, lernen dazu, werden sogar erwachsen, ergreifen ihren Beruf und, oh Wunder, tragen manche Werte aus der Kinderzeit völlig selbstverständlich hinaus in die Welt. Sie reden nicht mehr Einwortsätze, sondern parlieren gekonnt, zuweilen sogar im Dialekt oder fremder Sprache. Nur beim Einkaufen kriege ich immer noch die Standardphrasen um die Ohren. Wie nennt man so was? Rückentwicklung, Regression? Was hilft? Irgendwann bastele ich mir einen Button: „Ich nutze kein Payback und brauche keinen Kassenbon“ und hefte ihn an meine Jacke. Manchmal hilft auch ein freundliches Wort für die Frauen (und Männer), die da tagtäglich meinen Kram über ihren Kassen-Scanner zerren: Dann öffnet sich auf einmal ein Gesicht und für ein paar Momente können wir normal sprechen. Bloß: Es hält nicht an, leider.